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1999-04-03
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258 lines
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<!-- Anfang Logo -->
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<hr>
<!-- Ende Logo -->
<br><br>
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<!-- start body -->
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<a href="/go/http://www.komed.de"><img src="komed-logo.gif"></a>
<a href="/go/http://www.ccc.de"><img src="chaos-logo.gif"></a><br>
Der transparente Mensch im Netz -- Was droht Lieschen Mailer
und Otto Normalverbrowser?<BR>
Eine Nachlese zum zweiten Chaos Curriculum
Cologne
</h1>
<DIV CLASS="content">
<P>
"Wenn es ein PhΣnomen wie das absolut B÷se ⁿberhaupt gibt, dann besteht
es darin, einen Menschen wie ein Ding zu behandeln." Mit diesem Zitat
aus John Brunners wegweisendem Roman "Der Schockwellenreiter" er÷ffnete
Andy Mⁿller-Maguhn das zweite Chaos Curriculum Cologne am 20. Juni im
Komed. Transparenz im Netz war das Thema und natⁿrlich die Auswirkungen
von fehlender oder im ▄berflu▀ vorhandener Transparenz auf das tΣgliche
Leben in einer von Phrasen wie "InteraktivitΣt" oder "Multimedia"
bestimmten Welt.
</P><P>
Andy Mⁿller-Maguhn, Pressesprecher im Chaos Computer Club e.V.
und seit lΣngerem mit dem Projekt beschΣftigt, den sogenannten
EntscheidungstrΣgern das Denken der Hackerszene nahezubringen, begann
mit einem kurzen Abri▀ ⁿber die Entwicklung der Anwenderstrukturen im
Netz: WΣhrend es in der ersten Phase Computerfreaks waren, die das Netz
bev÷lkerten und es zum reinen Selbstzweck benutzten, kamen relativ
schnell Wissenschaftler auf die Idee, das Netz zum Informationssharing
zu benutzen, um zum Beispiel Forschungsergebnisse schnell auszutauschen.
Ende der 80er Jahre entstand eine neue Gruppe von Netzbewohnern: Die
Kommunikationsfreaks, die die Netze als "StrukturverstΣrker" zu nutzen
wu▀ten und sich zum Teil Brechts Radiotheorie verbunden fⁿhlten, wonach
jeder EmpfΣnger idealerweise auch ein Sender ist. "Medien von unter"
war das Schlagwort bei den Neuen Sozialen Bewegungen, die das Netz
zum Austausch von Nachrichten aus EntwicklungslΣndern oder fⁿr die
Verbreitung von Me▀ergebnissen nach dem GAU in Tschernobyl nutzten; aber
auch Manager erkannten den Sinn von E-Mail-Diskussionen, die es den
Teilnehmern erm÷glichten, als Gleichberechtigte zu kommunizieren, wobei
Merkmale, die in anderen Diskussionen vielleicht das Brainstorming
und die KreativitΣt der VorschlΣge hemmen k÷nnten -- wie Aussehen,
Geschlecht, sozialer Rang etc. -- fast v÷llig nebensΣchlich wurden.
</P><P>
Seit den frⁿhen 90er Jahren und dem Siegeszug von PCs und World Wide Web
tauchte verstΣrkt ein neuer Anwendertypus auf, von Andy M-M leicht
ⁿberspitzt mit "MΣuseschubser und Computer-Legastheniker" umschrieben.
Mit den Ansprⁿchen "der Computer hat ein Werkzeug zu sein" und
"das WWW soll ein besseres Fernsehen sein als das Fernsehen selbst"
kam die alteingesessene Hackerszene nicht allzugut zurecht. Es ist
noch auszudiskutieren, was aus diesen Ansprⁿchen folgen kann: Die
ganze Welt zu Computerfreaks zu machen, scheint wenig realistisch und
wⁿnschenswert. Das Netz als Kulturraum aufzugeben, ist jedoch auch keine
L÷sung.
</P><P>
Die Rezeption des Begriffes "InteraktivitΣt" ist in diesem Zusammenhang
ein Schlⁿssel zum VerstΣndnis dieses Zusammenpralls der (Netz-)Kulturen.
Wenn heutzutage von Seiten der Industrie von InteraktivitΣt in den
Neuen Medien gesprochen wird, so ist fast immer AuswahlinteraktivitΣt
("Multiple Choice") gemeint. Die Medienmacher geben dem Netzteilnehmer
(hier "Konsument" genannt) eine Wahl, die keine ist: "Welches Produkt
m÷chtest du denn kaufen?". Eine Rⁿckkanal-InteraktivitΣt ist viel
seltener gegeben, dies ist sogar ein Rⁿckschritt gegenⁿber den
herk÷mmlichen Medien, die immerhin Leserbriefe akzeptieren. Die vom
Chaos Computer Club gewⁿnschte Form der InteraktivitΣt, die sich in
einer Kommunikation emanzipierter Teilnehmer findet, scheint nicht
geschΣftlich verwertbar.
</P><P>
Auch der Begriff "Multimedia" wird heutzutage sehr unterschiedlich
interpretiert. Die scheinbar allgemeingⁿltige Definition "Integration
von Bild und Ton in das WWW-Angebot" ist nur eine Seite: eine b÷sartige
Definition wΣre "steigender Banbreitenbedarf bei gleichzeitig sinkendem
Niveau": Ton und Bilder fⁿr die Massen, in der Tradition von Brot und
Spiele. Der Trend zu werbefinanzierten Informationsangeboten statt
Kommunikationsforen hΣlt an, erklΣrt wird dies alles mit dem Argument,
der Konusument wolle ja schlie▀lich nichts anderes.
</P><P>
Die momentane Lage stellt sich laut Andy Mⁿller-Maguhn etwa so
dar: wΣhrend es auf der einen Seite die RealitΣtskonstruktion der
Usenet-News und E-Mail-Verteiler gibt, in der sich eine gewisse
emanzipierte Kommunikation dur Umgangsregeln und die sogenannte
Netiquette etabliert hat, steht auf der anderen Seite das WWW als
Anwendung, die als Neuerfindung des Fernsehens positioniert werden
soll. Da sich immer mehr Lebensbereiche wie soziale Interaktion in
der peer group, Arbeiten, Einkaufen etc. ins Netz verlagern, stellt
sich die Frage nach den Leitbildern: Setzt sich das Kanalmodell des
Fernsehens durch, das ein Menschenbild propagiert, in der es nur
Sender und Sauger, also Konsumenten gibt oder wird das Leitbild
fⁿr ein im positiven Sinne transparentes Netz das Netzmodell sein,
mit ihrer Teilnehmeremanzipation, dem Recht gleichberechtigter Sender
oder EmpfΣnger im Diskurs zu sein und dem Anspruch, den Zugang
niederschwellig zu halten?
</P><P>
Der transparente Mensch im Netz -- dieses Thema stellt auch
die Frage nach der informationellen Selbstbestimmung, als nach
dem, was traditionell als Datenschutz bezeichnet wird. Der
Begriff "informationelle Selbstbestimmung" unterstreicht hierbei die
Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen; nicht Daten sind es die von
einer omin÷sen Datenschutzbeh÷rde zu schⁿtzen sind, sonder jeder und
jede ist zumindest theoretisch dafⁿr verantwortlich, welche Daten
bekannt werden sollen. In Deutschland ist die "klassische" SensibilitΣt
gegenⁿber staatlichen Stellen ("Mein Datensatz geh÷rt mir!") dabei
noch relativ hoch, wie die Diskussion um die VolkszΣhlung gezeigt
hat. Schwieriger wird diese Selbstbestimmung allerdings, wenn die
Datenerhebung nicht mehr nachvollziehbar ist. Das System Echolon des
US-amerikanischen Gehimdiensts untersucht im Rahmen einer prΣventiven
Rundumⁿberwachung von AuslandsgesprΣchen fast alle Telefonverkehrsdaten
auf Schlⁿsseldaten: Eine Selbstbestimmung ist nicht mehr gegeben, es ist
quasi unm÷glich sich diesem Lauschangriff zu entziehen. Seit diesem Jahr
ist auch das Abgreifen der Daten im Internet-Verkehr, wie etwa E-Mails,
Teil des Echolon-Systems. AnsΣtze dagegen, wie etwa der Einsatz von
Kryptografieprogrammen fⁿr die Massen mit PGP gibt es, aber sie werden
noch nicht von einer kritischen Masse von Benutzern eingesetzt. Auch
dort, wo die Datenerhebung gekennzeichnet wird, kann es zu Problemen
kommen. Gwinnspiele und KreuzwortrΣtsel dienen offensichtlich der
Sammlung von Marketingdaten, aber die Preise dort sind immer noch viele
Menschen attraktiv genug, um dafⁿr ihre Daten preiszugeben.
</P><P>
Einen Ausblick auf das, was auf uns zukommen wird, bietet
die amerikanische Firma "Dig Dirt, Inc.", im Internet unter
<A HREF="/go/http://www.digdirt.com/">http://www.digdirt.com/</A> zu finden. Gegen Gebⁿhr bietet dieses
Unternehmen Einblick in Fahrzeughalterdateien, WΣhlerverzeichnisse,
Krankengeschichten und Telefonbⁿcher. Hier ist Orwells 1984 keine
Funktion, sondern ein Service zum bestellen. Aber auch in
anderen Bereichen werden Nutzungsdaten bereits vermarktet: Das
Kreditkartenunternehmen American Express gab kⁿrzlich bekannt, das das
ZahlungsmittelgeschΣft mittlerweile nicht mehr den Hauptprofit der Firma
ausmache: Gewinn wⁿrde hauptsΣchlich mit dem Verkauf von Kundendaten
gemacht werden. Beispiele fⁿr beunruhigende Entwicklungen im Bereicht
Datenschutz gibt es allerdings auch in Deutschland: Bei Adressveralgane,
lassen sich ganze Zielgruppen en bloc als DatensΣtze einkaufen und die
umstrittene Telefonbuch-CDROM "D-Info" der Firma Topware bietet auch
eine Auflistung der Telefonnummern nach der vermutlichen Sozialstruktur
der Wohngegend an (Villenviertel oder sozialer Wohnungsbau). Besonders
bedenklich ist in diesem Zusammenhang auch das out-sourcing, die
Zentralisierung von DatenbestΣnden bei externen Dienstleistern. Die vom
ehemaligen amerikanischen PrΣsidentschaftskanditaten und Multi-MillionΣr
Ross Perot gegrⁿndete Firma Electronic Data Systems (EDS) bietet hier
ein Rundum-Sorglos-Paket an. Mittlerweile speichert EDS die Daten fast
aller bedeutenden Fluggesellschaften, mehrerer Banken und kleinerer
LΣnder. Inhaber einer BahnCard finden sich ebenso in der EDS-Datenbank,
wie das komplette britische Sozialleistungssystem. Hierbei ist es
eigentlich unwichtig, da▀ EDS nur wenige Kilometer vom Hauptqautier des
US-Inlandsgeheimdienstes NSA angesiedelt ist -- allein die Sprengkraft
der dort versammelten Daten dⁿrfte bei vielen Begehrlichkeiten wecken.
Wer schⁿtzt uns da vor unterbezahlten EDS-Mitarbeitern, die schwach
werden?
</P><P>
Die Aussichten fⁿr die Zukunft, die uns im Bereich der Nutzung von
Datenspuren erwarten, sind auch nicht gerade rosig. Wahrscheinlich
werden neuronale Netzwerke, die anfallenden Datenstr÷me immer besser
interpretieren k÷nnen, in der Datenverabeitung zum Einsatz kommen. In
Amerika lΣuft zur Zeit ein Werbespot fⁿr Kreditkarten, in dem ein junger
Mann immer die gleichen HolzfΣllerhemden und Jeans kauft und natⁿrlich
mit seiner Karte bezahlt. Eines Tages will er allerdings heiraten und
kauft zum ersten Mal in seinem Leben einen Anzug und teure Schuhe. Er
hat gerade mit seiner Karte bezahlt, als er ans Telefon gerufen
wird. Man bittet ihn, sich zu identifizieren, das Passwort fⁿr seine
Kreditkarte zu nennen und klΣrt ihn dann auf, da▀ man sich eben Sorgen
gemacht habe: Derart teure Kleidung passe nicht in sein Nutzerprofil.
Der abschlie▀ende Slogan "We care for you" ist durchaus ernst gemeint:
Die Firma preist die stΣndige Filterung der Kundendaten durch ein
Analyseprogramm als guten Service an. Auch von der staatlichen Seite
ist noch einiges zu erwarten: In Zeiten, in denen die organisierte
KriminalitΣt statistisch nachweisbar rⁿcklΣufig ist, dienen Ma▀nahmen
wie der gro▀e Lauschangriff oder allgegenwΣrtige ▄berwachungskameras
sicher nicht in erster Linie der VerbrechensbekΣmpfung. Der Bev÷lkerung
soll ein nettes, kuscheliges Gefⁿhl der Sicherheit gegeben werden, ob
die Unsicherheit nun faktisch begrⁿndbar ist oder nicht: We care for
you.
</P><P>
"StΣndige Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit" schrieb Thomas
Jefferson. Auf die Netze und unser Leben ⁿbertragen lie▀e sich sagen:
Freiheit ist machbar, man mu▀ nicht unbedingt zur transparenten
Datenquelle werden. Der Einsatz von Verschlⁿsselungssoftware und
anonymen Reamilern oder Diensten wie
<A HREF="/go/http://www.anonymizer.com/">www.anonymizer.com</A> sind Beispiele.
Aber bequem ist es nicht, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
wahrzunehmen und als Konsum-Variante zum Anklicken wird Datenschutz wohl
in der Zukunft eher weniger zu haben sein als jetzt.
</P>
</DIV>
<!-- end body -->
</DIV>
<hr>
<table width="100%">
<tr>
<td>
(K) 1999 c4 - All Rights reversed
</td>
<td align="right">
<address>
<a href="mailto:webmaster@koeln.ccc.de">webmaster@koeln.ccc.de
</a>
</address>
</td>
</tr>
</table>
</BODY>
</HTML>
<!-- Last modified: April 03 1999 17:08:14.-->